Wie eine Rakete schießt die Kabine senkrecht nach oben, immer höher – fast 17 Meter pro Sekunde. Sie rast durch den längsten Fahrstuhl-Testschacht der Welt. 350 Meter führt der in die Höhe; der Pariser Eiffelturm würde locker darin verschwinden. Plötzlich bremst die Kabine auf den Millimeter genau ab. Leise öffnet sich die Tür, und Johannes de Jong tritt nach draußen.  Seit mehr als zehn Jahren testet der Ingenieur Fahrstühle in der senkrechten „Rennstrecke“, einer ehemaligen Kalksteinmine in Tytyri im Süden Finnlands. Jedes noch so winzige Rütteln und Schütteln zeichnet er mit hochempfindlichen Geräten auf. Die Lautstärke beim Fahren misst er mit einem Mikrofon: „Da ein Fahrstuhl ein sehr kleiner, geschlossener Raum ist, in dem viele Leute Angst bekommen, müssen wir so leise wie möglich fahren“, erläutert Johannes de Jong.  Eines seiner Projekte ist ein Doppeldeckeraufzug, der aus zwei Kabinen besteht, die direkt übereinander hängen. So lassen sich auf einen Schlag gleich doppelt so viele Menschen transportieren.  Eine gute Sache! Schließlich wachsen weltweit Städte in den Himmel; immer mehr Menschen leben und arbeiten in Hochhäusern und Wolkenkratzern. Rund um den Globus befördern Fahrstühle schon jetzt Tag für Tag mehr als zwei Milliarden Menschen.  Neu ist die Idee, Personen und Gegenstände in die Höhe zu hieven, dabei keineswegs. Bereits in der Antike entwickelte der griechische Mathematiker und Ingenieur Archimedes einen Lastenaufzug, der mit Seilen und einem Flaschenzug betrieben wurde. Und auch im antiken Rom wurden Raubtiere und Gladiatoren per Lift und Sklavenkraft in die Arena des Kolosseums befördert, wo sie dann aufeinander losgehen mussten.   Die Technik selbst blieb aber lange Zeit unausgereift. Deshalb stiegen die Menschen noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lieber Treppen hoch: Viele hatten panische Angst vor einem Aufzug-Absturz.  Kaum verwunderlich, dass Wohlhabende damals zumeist unten in der sogenannten Beletage wohnten, der „schönen Etage“, und ihre Dienstboten in den oberen Stockwerken der Häuser einquartierten.  Erst als der US-Amerikaner Elisha Graves Otis im Jahr 1854 einen scheinbar riskanten Selbstversuch wagt, sinkt die Furcht vor dem Fall. Im New Yorker Crystal Palace, einer riesigen Ausstellungshalle, lässt sich Otis auf einer Plattform 15 Meter in die Höhe ziehen. Als er oben angekommen ist, schneidet sein Assistent das Tragseil durch, das die Plattform hält. Dem Publikum stockt der Atem. Doch die Plattform rutscht nur wenige Zentimeter nach unten – und bremst sich selbst! Otis ruft der Menge zu: „Alles ist sicher, meine Herren, alles ist sicher.“  Denn er hatte einen Fangmechanismus entwickelt: Als die Spannung des Tragseils nachließ, dehnte sich oberhalb der Plattform schlagartig eine Wagenfeder aus, an deren Enden sich Bolzen befanden.  Die schnellten nach außen und verkeilten sich in den Zähnen der Führungsschiene. Drei Jahre nach diesem Spektakel fährt in einem Gebäude am Broadway in New York der erste Personenaufzug auf und ab. Er wird mit Dampf betrieben.  Von nun an geht die Karriere des Fahrstuhls steil nach oben. Auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1867 präsentiert der Franzose Leon Edoux zwei „hydraulische Aufzüge“, deren Kabinen nicht an einem Seil hängen, sondern auf ausfahrbaren Säulen stehen, die in der Erde stecken und mit Druck bewegt werden. Eine sichere, aber teure Erfindung: Die Säulen von Hydraulik-Aufzügen müssen schließlich so tief versenkt werden, wie das Gebäude groß ist. Besonders hoch hinaus kommt damit also niemand.  Noch dazu sind diese Lifte langsam. Das gilt allerdings auch für den ersten mit Strom betriebenen Fahrstuhl, den der deutsche Erfinder Werner von Siemens ertüftelt. 1880 stellt er ihn auf einer Messe in Mannheim vor. Sicher gleitet der Fahrstuhl auf und ab – nur eben nicht schnell. Um richtig in Schwung zu kommen, muss der elektrische Antrieb noch mit einer Treibscheibe kombiniert werden, einer Erfindung aus dem Bergbau.  Nach diesem Prinzip funktionieren Seilaufzüge auch heute noch: Die Tragseile werden dabei über die Scheibe gelegt; an einem Ende halten sie die Kabine, am anderen Ende ein Gegengewicht. Durch die starke Reibung kommen die Seile in Bewegung. Mittlerweile benutzt man beim Aufzugbau manchmal auch Gurte. So oder so lassen sich mit diesen Fahrstühlen endlich extrem große Höhenunterschiede überwinden – der Rekord liegt zurzeit bei 500 Metern.  Ihn halten zwei Aufzüge im BurjDubai, dem höchsten Gebäude der Erde.  Klar, dass so manch Verrückter seine Träume immer weiter in den Himmel schraubt. Der britische Schriftsteller Arthur Clarke etwa grübelte im Jahr 1979 über einen Aufzug, mit dem man ins All sausen könnte. Und tatsächlich spinnen Hobbyforscher und Wissenschaftler, darunter sogar Mitarbeiter der amerikanischen Weltraumbehörde NASA, die Idee fort – und basteln an einem galaktischen Lift für Reisen ins All! Der finnische Fahrstuhlschacht in Tytyri wäre als Teststrecke dafür allerdings deutlich zu kurz.  NICOLE SEROCKA
DIE STEILE KARRIERE DES AUFZUGS GEOlino 04/2009  Höher, schneller, weiter: Überall auf der Welt streben die Städte in den Himmel. Immer mehr Menschen leben oder arbeiten in Wolkenkratzern. Wer dort an die Spitze will, braucht entweder eine gute Kondition zum Treppensteigen – oder einen Fahrstuhl. Seit gut 150 Jahren bescheren uns diese so manches Auf und Ab.