Tote Schweine baumeln an einer Hochbahn kopfüber von der Decke. Fahl und glatt gleiten sie in einer fensterlosen Halle ihrem Schicksal entgegen. Über dem Holzfußboden wabert der Geruch von Blut und heißem Wasser.  Auf einem Podest steht eine junge Frau und lächelt. Im Sekundentakt schlitzt sie mit einem scharfen Messer die Bäuche der Schweine auf, so dass die Eingeweide herausquellen und ein paar Meter weiter in eine blutgetränkte Wanne plumpsen. "Ich fahre morgens freudig zur Arbeit, weil ich gern hier bin", sagt Sabrina Oetzel. Das Arbeitsklima sei sehr kollegial, wenn jemand nicht mitkomme, helfe ein anderer sofort mit.  Bis zu 3000 Schweine täglich weidet sie in einer Schlachterei des dänischen Konzerns Danish Crown aus. "Ich habe mich freiwillig für diesen typischen Männerjob entschieden, weil ich eine Herausforderung wollte", betont die 30-Jährige und arbeitet mechanisch weiter.  Fünfmal pro Woche pendelt die gebürtige Niedersächsin mit ihrem Mann Marc, 44, vom Häuschen in Weding über die deutsch-dänische Grenze nach Blans bei Sonderburg. Für die etwa 38 Kilometer brauchen die beiden mit dem Auto eine knappe Dreiviertelstunde. "Manchmal kommen wir in eine Grenzkontrolle, ansonsten können wir direkt durchfahren."  Gut geht es den Dänen und denen, denen Dänen nahestehen  Während ihr Mann nach mehr als 25 Jahren Schlachtererfahrung lieber Fleisch verpackt, schlachtet Sabrina Oetzel ohne abgeschlossene Ausbildung. Als sie 2007 zu Beginn des dänischen Wirtschaftsbooms bei Danish Crown zunächst einen Job als Feinzerlegerin bekam, zeigten ihr die Kollegen, was sie tun musste. "Auch wer nichts gelernt hat, ist auf dem dänischen Arbeitsmarkt was wert", sagt sie.  Diese Wertschätzung spiegelt sich auch im Gehalt der beiden Grenzpendler wider. In deutschen Schlachtereien arbeiten vor allem Osteuropäer für einen Stundenlohn zwischen fünf und neun Euro; die Oetzels verdienen in Dänemark bis zu 20 Euro pro Stunde. Freiwillige Extra-Schichten werden zusätzlich honoriert. "Dumpinglöhne haben den europäischen Arbeitsmarkt für Schlachter größtenteils unattraktiv gemacht", meint Marc Oetzel.  Zum Glück seien die Arbeitsbedingungen in Dänemark deutlich besser. "Solange hier alle für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn bekommen, kann ich in diesem Job alt werden", sagt seine Frau.  Das freut ihren Chef Ole Carlsen, der den südjütischen Schlachthof leitet. Etwa 300 von knapp tausend Angestellten am Standort Sonderburg sind Grenzpendler; die meisten wohnen im Kreis Schleswig-Flensburg. Vor allem im Sommer kommen weitere Pendler dazu. "Wer bei uns als Saisonarbeiter einsteigt, hat gute Chancen, übernommen zu werden", so Carlsen.  Obwohl er kein Deutsch spricht und die meisten Grenzpendler wie die Oetzels kein Dänisch können, liegt Carlsen viel daran, dass sich seine deutschen Mitarbeiter mit Fragen, Anregungen und Kritik an ihn wenden können. "Zum Glück sprechen meine Vorarbeiter und meine Personalleiterin Deutsch", sagt er und fügt hinzu: "Doch nur wer gut Dänisch spricht, hat in unserem Unternehmen Aufstiegschancen." Deshalb empfiehlt er deutschen Arbeitnehmern, an den staatlich finanzierten Sprachkursen teilzunehmen.  Die Ministeriumsmitarbeiterin: "Von morgens bis abends zur Stellensuche über Seeland gefahren"  "Wenn man länger in Dänemark arbeitet, ist es extrem wichtig, Dänisch zu lernen, um sich zu integrieren", bestätigt Christiane Mißlbeck-Winberg, 40. Sie hat die Chance genutzt, als Deutsche in Dänemark Karriere zu machen. Die studierte Gymnasiallehrerin ist inzwischen in die politische Abteilung des dänischen Wirtschaftsministeriums aufgestiegen. Dort arbeitet sie im Bereich "Nation Branding" und entwickelt globale Marketingansätze für die dänische Regierung. Werben kann sie auch mit der eigenen Biografie.  1997 wanderte die gebürtige Bambergerin nach Kopenhagen aus, wo ihr dänischer Mann, ein Ingenieur, eine Festanstellung bekommen hatte. Um finanziell unabhängig zu sein, suchte sie in Dänemark sofort einen Job. "Ich bin von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends mit meinem alten Ford Fiesta auf Seeland herumgefahren, um mich als Deutschlehrerin bei verschiedenen Sprachschulen vorzustellen", erinnert sie sich. Nebenbei belegte sie einen Dänischkurs. Nach einem knappen Jahr bekam sie eine Stelle als Lehrerin an einer Gesamtschule, wenige Jahre später einen Job an einer pädagogischen Hochschule. Ihre Erwartungen musste sie anfangs stark herunterschrauben, die Bezahlung war relativ schlecht.  Familie und Beruf vereinen zu können, sei für ihre Karriere entscheidend gewesen. "In Dänemark wird man nicht unattraktiv für seinen Arbeitgeber, nur weil man gerade geheiratet hat oder im gebärfähigen Alter ist", betont Mißlbeck-Winberg. Während sie mit ihrem zweiten Sohn im dritten Monat schwanger war, bewarb sie sich beim dänischen Unterrichtsministerium, dem heutigen Bildungsministerium. Und setzte sich als einzige Deutsche gegen 300 Bewerber durch.  "Arbeitsplatzwechsel ist fast ein Muss"  "Obwohl ich meinem Chef gesagt habe, dass ich schwanger war, wollte er mich unbedingt einstellen", erzählt sie und lobt das dänische Flexicurity-Modell, einer Kombination aus einem flexiblen Arbeitsplatz und einem engmaschigen sozialen Sicherheitsnetz.  Zwar ist der Kündigungsschutz in Dänemark fast vollständig aufgehoben. Dafür aber hat jede Familie bereits nach sechs Monaten Anspruch auf einen Krippenplatz und ist auch in arbeitslosen Zeiten so gut abgesichert, dass ein eigenes Kind sie nicht in eine finanzielle Schieflage bringt.  Zudem können Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten in Dänemark ans Familienleben anpassen, sofern sie nicht im Schichtdienst arbeiten. Die meisten Arbeitgeber bezahlen Internetanschluss und Laptops, über die sich ihre Arbeitnehmer von zu Hause aus in die Firmenrechner einloggen können. "Ohne diese Flexibilität könnten mein Mann und ich mit drei Kindern nicht voll berufstätig sein", sagt Mißlbeck-Winberg.  Wer jedoch freiwillig jahrzehntelang an einem Arbeitsplatz bleibe, habe kaum Karrierechancen, weil die Flexibilität fehle. "In Dänemark ist es fast schon ein Muss, dass man alle zwei bis drei Jahre seinen Arbeitsplatz wechselt, besonders in den ersten zehn Jahren der Berufstätigkeit."  Der Tourismus-Experte: "Professoren sind keine Halbgötter"  Auch der Wirtschaftsprofessor Peter Aderhold, 64, weiß die zahlreichen Vorteile des dänischen Arbeitsmarkts zu schätzen. Er wanderte 1973 nach Dänemark aus, nachdem er sein Studium an der FU Berlin abgeschlossen hatte, und spürte eine "gewisse Aufbruchstimmung", als Dänemark im selben Jahr in die Europäische Union eintrat.  "Ich war damals zur rechten Zeit am rechten Ort", so der gebürtige Schleswig-Holsteiner. Durch Zufall bekam er ein Promotionsstipendium an der Copenhagen Business School, weil er dort mit einem dänischen Tourismus-Professor über seine beruflichen Pläne plaudern konnte. "Die Professoren in Dänemark waren keine Halbgötter, wie ich das aus Deutschland kannte", sagt er. Für ihn sei der informelle Umgang miteinander eine sehr angenehme Erfahrung gewesen und habe dazu geführt, dass er bis heute in Kopenhagen blieb.  Nach zwei Jahren war Aderhold mit seiner Doktorarbeit fertig. Erst dann begann er, sich mit der dänischen Sprache auseinanderzusetzen. "Bis zu meiner ersten eigenen Vorlesung konnte ich mich ohne dänische Sprachkenntnisse durchmogeln." Bei seiner Arbeit als Lektor habe er dann autodidaktisch Dänisch gelernt und bekam Mitte der achtziger Jahre die Chance, im Rahmen eines EU-Projekts für ein Jahr auf den Fidschi-Inseln zu forschen.  Kaum noch Ländergrenzen, ein großer Gewinn  Als die Dänen 1992 den EU-Vertrag von Maastricht per Referendum ablehnten, machte Aderhold sich selbständig: "Ich habe meine feste Stelle aufgegeben, weil ich so viel in der Welt herumgekommen war, dass ich mich nicht mehr frei genug fühlte." Er gründete ein eigenes Tourismusbüro - das Institute for Tourism Research + Planning - und arbeitete als Unternehmensberater. Im Jahr 2001 wurde er Geschäftsführer der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen, die jährlich eine Reiseanalyse herausgibt.  "Es ist sehr viel einfacher geworden, sich innerhalb der Europäischen Union zu bewegen", sagt er. Weil es kaum noch sichtbare Ländergrenzen gebe, seien die Arbeitsmärkte immer stärker zusammengewachsen, ein großer Gewinn vor allem für die kommenden Generationen.  Da er eine Dänin geheiratet hat und seit fast 40 Jahren in Dänemark lebt, hätte er die dänische Staatsbürgerschaft annehmen können, um sich an den politischen Entscheidungen per Wahl beteiligen zu können. Er entschied sich dagegen, aus Pflichtgefühl, die deutsche Kollektivschuld am Zweiten Weltkrieg mittragen zu müssen, wie er sagt. Trotzdem findet er: "Ich bin vom Herzen her ein bisschen mehr dänisch als deutsch." NICOLE SEROCKA
ZUM SCHLACHTEN NACH DÄNEMARK SPIEGEL ONLINE 04/2011  Ein Job im hohen Norden: Täglich fahren Tausende Deutsche über die Grenze nach Dänemark und kehren zum Feierabend zurück. Manche bleiben für immer. Was macht den Arbeitsmarkt dort so attraktiv? Ein Schlachter-Paar, ein Tourismus-Experte und eine Ex-Lehrerin erzählen.