Wenn es um die Bildung ihrer Kinder geht, sind Eltern zu vielem bereit. Einige Väter und Mütter aus Bremen gingen jedoch ein paar Schritte zu weit. 14 Jahre lang betrieben sie eine illegale Grundschule und schickten ihre Kinder später mit gefälschten Angaben auf weiterführende Schulen. Erst als ein neues Computerprogramm den Abgleich der Melde- und Schülerdaten von Bremen und Niedersachsen ermöglichte, flog die Trickserei im vergangenen Jahr auf.  „Wir haben Probleme mit den Konzepten der Regelschulen und der Bildungspolitik“, erklärt ein trotziger Vater. Je 200 Euro Bußgeld mussten die Eltern zahlen, die Kinder wurden in staatliche Schulen eingegliedert.  Doch der Elternverein zog vor Gericht, weil man nach der Zwangsschließung der illegalen gleich eine neue, offizielle Privatschule gründen wollte und der Staat die Genehmigung verweigerte.  Die Bremer Elterngruppe ist ein extremes Beispiel. Doch der Fall zeigt, wie tief das Misstrauen vieler Eltern gegenüber dem staatlichen Schulsystem sitzt, nicht erst seit der Pisa-Misere. Altmodisch seien die öffentlichen Schulen, oft ohne Visionen.  Genügt es in unserer globalisierten Welt wirklich noch, wenn das Kind erst in der dritten Klasse mit Englisch beginnt? Sind nicht doch zu viele Schüler mit mangelhaften Deutschkenntnissen in der Klasse?  Kann Bildung gut sein, wenn sie für alle ist und nichts kostet? Solche Zweifel bilden den Nährboden für eine stetig wachsende Zahl von privaten Grundschulen, die vor allem in den Großstädten den Bildungsmarkt aufmischen. Völlig antiautoritär oder nach strenger Jesuitentradition, bilingual oder lieber gleich international - die Angebote sind so vielfältig wie die Eltern, die nach der perfekten Schule suchen.  Und so boomt die Privatisierung. Zwei bis drei Schulen werden momentan pro Woche in Deutschland gegründet. Seit 1995 ist die Zahl allgemein bildender Privatschulen hierzulande um 43 Prozent auf rund 3000 gestiegen, 690 davon sind Grundschulen. In vielen europäischen Ländern liegt der Anteil der Privatschüler höher.  Grundsätzlich kann jeder eine Privatschule gründen. Doch die Hürden, besonders für Grundschulen, sind hoch. Laut Artikel 7 des Grundgesetzes muss eine private Volksschule entweder konfessionell sein oder ein besonderes pädagogisches Konzept verfolgen. Die Idee, es einfach nur besser machen zu wollen als der Staat, reicht nicht aus. Zudem unterstehen auch die privaten Schulen der jeweiligen Schulaufsichtsbehörde eines Bundeslandes. Ihre Lehr- und Erziehungsziele müssen denen der öffentlichen Schulen entsprechen.  Montessori- und Waldorf-Schulen sind in Deutschland schon längere Zeit etabliert, und die meisten privaten Grundschulen haben kirchliche Träger, die oft nur wenig oder gar kein Schulgeld verlangen. Die „Blubberblasen“ etwa verdanken ihren vielseitigen Alltag der Evangelischen Schulstiftung in Stuttgart. Die 24 Kinder aus der Grundschulklasse der Johannes Brenz Schule sitzen im Stuhlkreis, die Lehrerin spielt Blockflöte. Danach liest Nick, viertes Schuljahr, im Fußballtrikot und mit Stoppelfrisur, für das Zeitungsprojekt zuerst den Sportteil.   Belana, drittes Schuljahr, Pferdeschwanz und bunter Gips, schreibt einen „Unfallbericht“ darüber, wie sie sich beim Spielen das Bein brach. Einige Kinder aus dem zweiten Schuljahr ringen unter der Aufsicht einer Mutter mit Rundstricknadeln und Wollgarn, andere mit der Neuner-Reihe aus dem Mathebuch.  Die 192 Kinder lernen in altersgemischten Gruppen, „sie sollen sich vor allem gegenseitig unterstützen“, erklärt Pädagogin Stephanie Breuning. Noten gibt es erst in der vierten Klasse. Neben der Lehrerin kümmern sich um jede Klasse zusätzlich zwei Erzieherinnen. Für spezielle Projekte wie das Stricken integriert man gern mal Mütter oder Väter in den Unterricht oder in die Arbeitsgemeinschaften am Nachmittag. „Wir legen großen Wert darauf, dass die Eltern in den Lebensraum Schule und Hort einbezogen werden“, sagt Breuning, die hier seit fünf Jahren unterrichtet.   „Eltern, die ihr Kind hier einschulen, entscheiden sich ganz bewusst für uns“, so die 37-Jährige, „genauso ist es bei den Kollegen. Wir stehen alle hinter dem ganzheitlichen, christlichen Konzept unserer Schule, sonst hatten wir uns hier nicht beworben.“   Schulleiterin Ruth Lemaire betont, ihr ginge es weniger um exotische Fächer oder teuren Firlefanz. „Bei uns stehen andere Dinge an erster Stelle: Wir wollen den Kindern Werte vermitteln, in einem sozialen Lernumfeld. Leistung ist nicht das Einzige, was einen Menschen ausmacht.“  Die 48 Plätze der Johannes Brenz Schule werden im Losverfahren vergeben, 60 Euro Schulgeld fallen pro Monat an, die Ganztagesbetreuung im Hort kostet extra. „Wir haben jedoch auch viele Eltern, die nur einen ermäßigten Preis oder auch nichts bezahlen", erklärt Lemaire. „Alle haben bei uns die gleichen Chancen. Das Einkommen der Eltern und die soziale Herkunft eines Kindes spielen keine Rolle.“   Auch private Schulen werden vom Steuerzahler mitfinanziert. Drei Jahre dauert es in der Regel, bis eine Privatschule genehmigt wird und eine staatliche Förderung erhalt. Dann bekommen die Privaten je nach Bundesland Zuschüsse in Hohe von 70 bis 90 Prozent der Kosten, die für Schüler einer normalen Schule anfallen. Der Rest muss durch Schulgeld, den Träger oder Sponsoren aufgebracht werden.  Einige Unternehmer wollen auch schlicht Geld verdienen. So wird aus Bildung eine Ware und aus manchem Schulleiter ein Manager.  So wie Bea Beste. Die Dame mit dem schicken dunklen Kurzhaarschnitt und dem hellen Hosenanzug arbeitete früher als Unternehmensberaterin bei der Boston Consulting Group. Jetzt ist die gebürtige Rumänin Vorstandsvorsitzende der Phorms Management AG, die 2006 in einem ehemaligen Fabrikgebäude in Berlin-Mitte ihre erste Grundschule eröffnet hat. Sie wünsche sich für alle Phorms- Schüler eine „unternehmerische Einstellung“, erklärt Beste. Sie glaube, dass man als Optimist „mehr im Leben gebacken bekommt“. Weshalb sie in den Schulfluren motivierende Sprüche wie „Smiles are contagious - is yours?“ („Lächeln ist ansteckend - deins auch?“) an die Wände hangen ließ.  Die Grundschule mit 340 Schülern umfasst sechs Klassen, der Anteil des englischsprachigen Unterrichts liegt von Anfang an bei 70 Prozent. Die entsprechenden Pädagogen stammen aus England, Schottland, Kanada oder den USA. Eine Designerin hat eine schuleigene Uniformkollektion entworfen - in Weiß, Grau, Rot und Schwarz.  Der Tag in der Berliner Phorms-Grundschule beginnt nach britischem Vorbild mit einer „assembly“ in der Aula. In Reih und Glied und nach Alter sortiert ziehen die Kinder danach in die modernen Klassenräume. Das Pult ist mit einem Computer ausgestattet, ein digitales Smartboard ersetzt Tafel und Kreide. „Wer krank ist, bekommt das Tafelbild per E-Mail nach Hause geschickt", erklärt die Englischlehrerin Brett Macdonald. Gerade wurden für jedes Kind ab der zweiten Klasse Laptops und Zehn-Finger-Tippkurse eingeführt.  Der Andrang auf die bundesweit inzwischen sieben Phorms-Standorte spiegelt den Boom der Privaten. In Frankfurt am Main wurde nach 1000 Anmeldungen die Warteliste für die eigentlich 40 Plätze geschlossen. Wer eine Eintrittskarte ergattern will, muss seinen Nachwuchs testen lassen. Je älter der Sprössling, desto umfangreicher die Fragen. „Wir prüfen auch, wie sicher das Kind in seiner Muttersprache spricht“, erklärt Phorms-Mitbegründerin Beste, „und wie hoch seine Motivation ist.“  Auch die Motivation der Eltern sollte hoch sein, zumindest was das Finanzielle angeht. Das Schulgeld bei Phorms ist nach dem Einkommen gestaffelt. Rund 60 Prozent der Familien, die ihr Kind auf die Grundschule in Berlin-Mitte schicken, zahlen bis zu 400 Euro Schulgeld im Monat - der Rest zahlt mehr. Es gibt nur eine Handvoll Teilstipendien.   Auch prominente Namen mischen unter den Schulgründern mit. Der ehemalige Investmentbanker Peter Ferres, Bruder von Schauspielerin Veronica Ferres, eröffnete im vergangenen Jahr die Metropolitan School in Frankfurt am Main. Die Anmeldegebühr für die Grundschule beträgt 900 Euro, das monatliche Schulgeld 550 Euro, wer Nachmittagsveranstaltungen und bilingualen Unterricht wünscht, legt 244 Euro drauf plus 75 für das Mittagessen.  Die Popsängerin und vierfache Mutter Nena gründete an der Elbe nach amerikanischem Vorbild die erste Sudbury-Schule Deutschlands, unter anderem unter der Leitung ihres Lebensgefährten Philipp Palm. „Bei uns regieren ganz viel Liebe und Pioniergeist“, beteuerte die Sängerin. In einer Gründerzeitvilla in Hamburg-Rahlstedt sitzen die Kinder auf bequemen Kissen, ein Flügel lädt zum Klimpern, ein Atelier zum Malen ein.   Doch das radikal-demokratische Sudbury-Konzept, bei dem die Schüler regelmäßig über den idealen Schulalltag und auch über die Einstellung von Lehrern abstimmen, bekam nicht allen. Mobbing- und Gewaltvorwürfe brachten die Vorzeigeschule in die Schlagzeilen.   Gefrustete Lehrer kündigten, enttäuschte Eltern meldeten ihre Kinder ab. Nur unter Auflagen genehmigte die Hamburger Schulbehörde jetzt den weiteren Betrieb der „Neuen Schule Hamburg", die auch von Nenas eigenen Kindern besucht wird.  Die Nena-Schule zeigt, dass die Konkurrenz zur staatlichen Grundschule zwar oft innovativer ist, damit aber nicht per se besser sein muss. Wissenschaftliche Belege, dass Privatschüler wirklich gebildeter sind als Schüler öffentlicher Einrichtungen, lassen sich schwer finden. Von Legendenbildung gar spricht Manfred Weiß, Professor am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main. Weiß kommt nach einer internationalen Pisa-Vergleichsstudie bei 15-Jährigen zu dem Ergebnis, dass sich, berücksichtigt man die soziale Herkunft der Schüler, keine großen Leistungsunterschiede belegen lassen.  SIMONE KAISER, NICOLE SEROCKA
"WIR PRÜFEN DIE MOTIVATION" SPIEGEL SPECIAL 09/2008  Die Angebote sind vielfältig, die Wartelisten lang, die Gebühren häufig hoch: Private Grundschulen haben Konjunktur, weil Eltern dem staatlichen Angebot aus vielen Gründen misstrauen.