Erst baten sie ihn nur, dann boten sie auch Geld. 500 Euro, jeden Monat – nur damit er Lehrer an ihrer Schule bleibt. Ingo Krause aber zog es weg. Er fand es rührend, dass die Schüler der Gustav-Heinemann-Oberschule im Berliner Stadtteil Marienfelde für ihn vor dem Landesschulamt demonstrierten.   Er fand es bemerkenswert, dass die Eltern ihm sein Angestelltengehalt aufbessern wollten – der Förderverein versprach einen ordentlichen Zuschlag auf den Lohn. Doch die Schulverwaltung wollte die ungewöhnliche Gehaltserhöhung nicht genehmigen. Spätestens in dem Moment war klar: „Ich konnte das Angebot aus Hamburg nicht ablehnen“, sagt Krause. Die dortige Schulbehörde lockte mit einer Beamtenstelle, mehr Geld und weniger Unterrichtsstunden.  Den Berliner Schülern muss der Wechsel ihres Englischlehrers wie eine feindliche Übernahme vorgekommen sein – die Hamburger Schulbehörde aber konnte sich über einen weiteren Sieg im Wettstreit der Bundesländer freuen.  Mit aller Macht versuchen derzeit manche Länder, die Leerstellen an ihren Schulen zu füllen. Sie wollen ihre letzte Chance nutzen, Pädagogen vor dem neuen Schuljahr anzuheuern – und werben deshalb offen auch hinter den eigenen Landesgrenzen.   Der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU), der gemeinsam mit seinem Chef Günther Oettinger vorige Woche die Neuanstellung von 4000 zusätzlichen Lehrkräften ankündigte, schaltete jetzt Zeitungsannoncen in Schwerin und Sachsen. Sein hessischer Kollege Jürgen Banzer (CDU) ließ kürzlich in Uni-Städten wie Köln und Mainz gar Werbeplakate aufstellen.  Im deutschen Föderalismus, der den Konsens sucht und den Konflikt meidet, kommt eine solche Aktion beinahe einer Kriegserklärung gleich. „Das ist Brutalität pur und kein kooperativer Föderalismus“, sagt Ludwig Eckinger, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, der rund 140 000 Pädagogen vertritt. Er fürchtet einen „ruinösen Wettbewerb“ der Länder.  Für Marianne Demmer, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hat die hessische Aktion „etwas von Kannibalismus“. Die anderen Bundesländer wollen sich keineswegs kampflos geschlagen geben. Der Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) zum Beispiel hat den Einstellungstermin vorverlegt, um Bewerber frühzeitig zu binden.   Im niedersächsischen Landtag klagte Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) über die „Einstellungspolitik anderer Bundesländer auch zu Lasten der Nachbarländer“ – und lässt nun selbst in Thüringen nach Lehrern fahnden. Das rheinländ-pfälzische Kultusministerium von Doris Ahnen (SPD) mokierte sich über „die massiven Abwerbungsversuche seitens anderer Bundesländer, insbesondere aus Hessen“ – und bietet Bewerbern nun seinerseits bessere Bedingungen.   Was die Landespolitiker ärgert und antreibt, freut die Lehrer. Nicht nur Spitzenabsolventen, sondern auch Seiteneinsteiger haben plötzlich freie Auswahl unter mehreren Stellen. Hein Krott, 41, aus Bergisch Gladbach bei Köln arbeitete lange als Schallschutzspezialist für ein Ingenieurbüro, danach als Freiberufler und zuletzt als Trainer in einer Kletterhalle. Nun wird er heftig von Schulleitern umworben, deutschlandweit.   Weil Nordrhein-Westfalen so dringend Physiklehrer suchte, konnte der Ingenieur vor zwei Jahren noch ein Referendariat absolvieren. Zuletzt unterrichtete er an einer Gesamtschule in Bergisch Gladbach, doch dort wird er nicht bleiben. Drei Angebote aus Hessen und Baden-Württemberg hat er noch standhaft abgelehnt, beim vierten wurde er schwach. Nächste Woche, zum Schulstart in Hessen, wechselt er nach Dieburg. „Die Bedingungen sind einfach zu verlockend“, sagt er. In Hessen bekommt Krott mehr Geld, rund 2500 Euro netto statt bisher 1800, und kann noch Beamter werden.   Der Eintritt in den Staatsdienst ist ein wichtiges Lockmittel der Länder. In Hessen gilt ein Höchstalter von 50 Jahren, in Nordrhein-Westfalen von 35 Jahren – ein bedeutendes Argument für Seiteneinsteiger wie Krott. Doch auch für jüngere Lehrer kann die Verbeamtung zum entscheidenden Faktor werden. Die meisten ostdeutschen Länder bieten nur Angestelltenverträge und leiden damit unter einem klaren Wettbewerbsnachteil.  „Wir haben innerhalb von zwei Jahren vier Lehrer nach Hamburg verloren und einen nach Bayern“, berichtet der Berliner Schuldirektor Karl Pentzliehn, der auch den begehrten Englischlehrer Krause ziehen lassen musste.   Besonders unmittelbar an der ehemaligen innerdeutschen Grenze kämpfen Schulen mit dem Problem, dass der Weg in den beamteten Westen für ihre Lehrer nicht weit ist. In Mecklenburg Vorpommern beobachtet die GEW-Landesvorsitzende Annett Lindner, „dass Lehrer im Westen des Landes lieber nach Schleswig-Holstein pendeln“.   In den alten Bundesländern muss ein Kultusminister schon deshalb den Beamtenstatus offerieren, weil die Kollegen es tun. Hamburg kehrte zum Beamten-System zurück, um mit den Nachbarn Schleswig-Holstein und Niedersachsen gleichzuziehen. Auch Bremen machte Lehrer wieder zu Staatsdienern, weil die Konkurrenz der anderen Nord-Staaten zu groß und zu nah war.  Manche Stellen bleiben dennoch unbesetzt, vor allem in Fächern wie Mathematik, Physik, Chemie, Latein, Religion, Englisch und Musik. Die Gründe für den Mangel sind vielfältig: Viele Pensionierungen, wenige Referendare, mehr Gymnasiasten und der Wunsch nach kleineren Klassen tragen zu dem Engpass bei.  Die Bremerhavener machen sich deshalb schon außerhalb Deutschlands auf die Suche. Mindestens elf Englischlehrer holten sie aus Großbritannien, in der Partnerstadt Stettin fand sich eine Lehrerin für Chemie, Physik und Mathe. Die Schulbehörde will nun weitere Kräfte in Polen rekrutieren. Wird die Lehrersuche also in Zukunft zu einem europaweiten Wettbewerb?   In Baden-Württemberg kämpft das Hartmanni-Gymnasium in Eppingen schon heute nicht nur mit der Konkurrenz aus Hessen oder Rheinland-Pfalz. „Die Lehrer  gehen auch in die Schweiz, weil dort die Attraktivität des Schuldienstes deutlich höher ist“, sagt der stellvertretende Schulleiter Bernd Eigenmann.  Und nicht mehr fern scheint der Tag, an dem Pädagogen Richtung Niederlande ziehen. Das Nachbarland lockt mit eine Stipendienprogramm für Deutschlehrer, die Bewerber müssen kein Wort Niederländisch sprechen. „Da in den Niederlanden Lehrermangel herrscht, sind die Berufsaussichten für erfolgreiche Absolventen sehr gut“, verheißt die Ausschreibung.   Der Bedarf ist so groß, dass manche niederländische Schule neuerdings Prämien auslobt. Die Lehrer sollen zu Kopfgeldjägern werden: Für jeden Kollegen, den sie an ihre Schule vermitteln, erhalten sie eine Bonuszahlung.   ANDREA BRANDT, NICOLE SEROCKA, MICHAEL SONTHEIMER, MARKUS VERBEET
FEINDLICHE ÜBERNAHMENDER SPIEGEL NR. 30/2008  Weil in vielen Fächern Lehrer fehlen, machen sich die Bundesländer das Personal gegenseitig abspenstig – mit Geld und dem begehrten Beamtenstatus.