Ein kräftiger Nordostwind wirbelt Pusteblumen-Schirmchen über die Wiese. Pappeln duften nach Sommer, Schmetterlinge flattern zu den Wolken. Mit jedem Flügelschlag wächst die Sehnsucht, auch in den warmen Abendhimmel aufzusteigen.  Thomas Voss, 47, kommt oft in den Elbpark Entenwerder in Rothenburgsort, um sich und seinen Gästen den Traum vom Fliegen zu erfüllen. "Wenn ich die Welt von oben sehe, fühle ich mich frei", sagt er. Früher flog der Hamburger leidenschaftlich gern mit Motorflugzeugen.  Doch mit seiner ersten Ballonfahrt im Sommer 1997 veränderte sich sein Leben schlagartig. "Mir ist klar geworden, dass es tausendmal schöner ist, in einem offenen Korb zu stehen, als in einer engen, lauten Kapsel zu sitzen." Die unmittelbare Nähe zur Natur hatte ihn so tief beeindruckt, dass er sich gleich am nächsten Tag in einer Ballonschule anmeldete.  18.35 Uhr, noch knapp eine Stunde bis zum Start. Elf Fahrgäste wollen das Abenteuer wagen, das sie bisher nur aus Jules Vernes Romanen kennen. Gemeinsam hieven sie den über hundert Kilo schweren Weidenkorb vom Anhänger auf die Wiese und kippen ihn auf die Seite. Die gelbe Ballonhülle, die noch am Boden liegt, sieht aus wie das Dach eines Zirkuszelts. Voss bückt sich und sortiert die Leinen. Er wartet darauf, dass der Wind ruhiger wird. "Wenn es zu windig ist, bleibe ich am Boden", sagt er.  19.20 Uhr, das Rotieren der Propeller dröhnt über die Wiese. Auf dem Boden stehen zwei Ventilatoren und füllen die Hülle mit 7800 Kubikmetern Luft. Voss schaltet den Gasbrenner ein. Flammen schießen wie aus einem fauchenden Drachenmaul in den Ballon. Die Gäste klettern in die wabenähnlichen Abteile, um einen der begehrten Logenplätze am Himmel zu ergattern, bevor sich der Korb ächzend aufrichtet.  19.38 Uhr, der Brenner spuckt alle paar Minuten Feuer. Voss steht in der Mitte, zwischen sechs Propangasflaschen, einem Funkgerät und einem Höhenmesser. Der Wind zerzaust seine Haare und zerrt immer stärker am Ballon. Zwei Helfer lösen die Bodenleinen, und wie von unsichtbaren Fäden gezogen, steigt der Ballon in den Hamburger Abendhimmel.  Die Geräusche werden leiser, bis die Digitalanzeige des Höhenmessers auf 400 Metern stehen bleibt und die Stadt aussieht wie im "Miniatur Wunderland". Voss gönnt dem Brenner eine Pause. Lautlos gleitet der Ballon durch die Luft. Im Korb ist es absolut windstill, da er mit dem Wind fährt.  Im fahlen Licht der Abendsonne schlängelt sich die Elbe wie ein silbernes Band hinaus in die Marsch. Für einen Moment steht die Zeit still, die Seele rekelt sich. Im Norden ist der Himmel diesig. Aus dem Dunst hebt sich deutlich die Fontäne hervor, die aus der Binnenalster emporschießt. Der Fernsehturm ragt wie ein Speer aus dem grünen Dschungel von "Planten un Blomen". Fast scheu lugen die alten Backsteinfassaden der Speicherstadt hinter den Baukränen der Hafen City hervor.  Ein flüchtiger Moment, voller Glücksgefühle. Man möchte in der Luft stehen bleiben, wie ein Kolibri. Doch der Wind trägt den Ballon weiter - zwölf Knoten schnell, 22 Kilometer pro Stunde.  Knapp 420 Meter unter dem Ballon liegt der Hamburger Hafen. Riesenpötte aus aller Welt werden an den Kais be- und entladen. Blaue Kräne mit roten Armen rollen kreischend über die Schienen, Stahlspinnen transportieren Container wie Bauklötze.  Der Blick schweift frei in alle Himmelsrichtungen. Es sieht aus, als würden die Parks und Alleen der innerstädtischen Viertel rund um die Alster fließend in die Auenwälder und hochsommerlich gemähten Felder südlich der Elbe übergehen.  20.05 Uhr, die Sonne nähert sich dem Horizont. Niemand, auch Voss nicht, weiß genau, wohin die Reise geht. Denn der Pilot kann den Ballon zwar um die eigene Achse drehen und die Höhe bestimmen, aber nicht lenken.  Es wird kühler, einer der Gäste nimmt seine Frau in den Arm. Im Südwesten thronen die Pfeiler der Köhlbrandbrücke über der Elbe. Die untergehende Sonne tupft zarte Aquarelltöne auf den Stahl. Im Süden recken die knubbeligen Hügel der Harburger Berge ihre Nasen in den Himmel.  300 Meter unter dem Ballon liegt die Elbinsel Wilhelmsburg. Die Bäume der Auenwälder scheinen zum Greifen nah. Die Windmühle Johanna, der ehemalige Flakbunker und ein ausrangierter Lokschuppen sind gut zu erkennen.  20.27 Uhr, die Sonne stößt an den Horizont. Zeit, einen Landeplatz zu suchen. Der Ballon sinkt auf 150 Meter, ein Meer aus Baumkronen öffnet sich. Doch weit und breit keine Wiese in Sicht. Der Korb gleitet über Rapsfelder und Büsche hinweg. Hunde bellen den fauchenden Brenner an.  "Die nächste Wiese gehört uns, bereit machen zur Landung!", ruft Voss plötzlich. Mit einem Ruck setzt der Korb auf dem Boden auf, hopst zweimal nach vorn und bleibt auf der Seite liegen. Die Gäste krabbeln aus den Waben und entdecken, dass sie auf einem Getreidefeld mit grünen Setzlingen gelandet sind, irgendwo in der Nähe von Neu Wulmstorf.  Schade, dass die Fahrt so schnell zu Ende ist! Am liebsten möchte man gleich wieder aufsteigen, um auch noch die funkelnden Lichter der Hansestadt von oben zu sehen. Und auf einmal begreift man, wie eine Ballonfahrt das Leben verändern kann.   NICOLE SEROCKA
EINMAL IN DEN HIMMEL, BITTE HAMBURG–MAGAZIN 06/2009  Der Stadtlärm verstummt, die Sorgen bleiben am Boden zurück. Nirgends fühlt man sich der Natur näher als im Korb eines Heißluftballons. Eine Reise mit dem Wind.